Im Pelotaspiel schlagen junge Basken mit Körben oder auch mit bloßen Händen gegen einen Ball. Der fliegt gegen eine Wand und kommt wieder zurück. Dann ist der Gegner an der Reihe.
Während die Spieler in der Sporthalle der Kleinstadt Tolosa, ganz in der Nähe von San Sebastián, noch trainieren, ist die Kneipe bereits gut gefüllt. Kein Tisch ist mehr frei, die Gäste trinken Wein und Bier und essen Pintxos, kleine Häppchen, für die die Küche des Baskenlands berühmt ist. Auch Peio Achucarru hat sich einen Wein bestellt. Er sitzt ganz hinten und mustert aufmerksam den Saal:
"Hier in dieser Kneipe, an einem Tisch dort rechts hat Jáuregui gesessen. Dann sind die beiden ETA-Militanten reingekommen. Sie hatten Joggingkleidung an, als kämen sie gerade vom Sport. Sie haben ihm in den Kopf geschossen und sind dann sofort wieder verschwunden."
Peio Achucarro spricht über den Mord an dem sozialistischen Politiker Juan María Jáuregui vor fast 15 Jahren. Bereits einen Tag später kam der Stadtrat zu einer Sondersitzung zusammen. Peio mischte sich unter die Zuschauer, er wollte den Politikern der Linksnationalisten in die Augen sehen - den politischen Verbündeten der Terroristen:
"Ich habe mich ihnen genau gegenüber gesetzt, wollte sie sehen. Wie würden sie sich verhalten? Es war, wie ich erwartet hatte: Das übliche Blabla: 'Wir kämpfen in einem politischen Konflikt zwischen dem baskischen Vaterland und Spanien. Der Tod des Politikers wäre zu vermeiden gewesen, aber...' und so weiter und so fort. Einer hat allerdings noch eine persönliche Erklärung angefügt und sich von dem Anschlag distanziert."
Den Namen des Mannes, von dem er spricht, nennt Peio nicht. Der Linksnationalist wollte zu diesem Gespräch vor einem Mikrofon nicht dazu kommen. Ohne Öffentlichkeit treffen sich die beiden aber wieder, an einem runden Tisch mit weiteren Kommunalpolitikern, aber auch ganz einfachen Bürgern.
"Es muss schwer sein, vor sich selbst und anderen anzuerkennen, bis Kurzem die ETA noch verteidigt zu haben. Vor den eigenen Leuten diese Vergangenheit als Fehler zu sehen. Sie haben Schwierigkeiten, das alles zu bewältigen. Für mich ist es leicht, ich habe immer auf der Seite der Opfer gestanden, nicht auf der der Täter. Mein Gegenüber an diesem Tisch ist aber kein schlechter Mensch, ich mag ihn. Er hat es nicht leicht."
Keine Debatte über den politischen Hintergrund
Die Treffen sind diskret. Das hat einen Grund: Peio kandidiert seit Jahren bei allen Kommunalwahlen für die konservative Volkspartei - und offiziell gibt es zwischen Konservativen und Linksnationalisten keine Kontakte. Für die Parteiführung in Madrid sind die Linksnationalisten Komplizen der Terroristen, obwohl die ETA 2011 das Ende der Gewalt verkündet hat. Auch die Opferverbände kritisieren den Dialog. Dabei treffen sich einige Angehörige von Opfern auch mit den Tätern.
"Wenn diese Treffen nur dazu dienen, im Anderen sein eigenes Leid wiederzuentdecken - es also nur um die Empathie geht - machen die Opfer einen Fehler," sagt zum Beispiel Josu Puelles, Sprecher des Baskischen Verbands der Angehörigen der Opfer des Terrors der ETA, COVITE.
"Selbst wenn die Täter ihre Taten bereuen, der politische Hintergrund für diesen Terror bleibt außen vor: die nationalistische Ideologie mit ihrem Unabhängigkeitsstreben. Eigentlich wird damit überhaupt nicht mehr über den politischen Hintergrund des Terrors debattiert. Genau vor dieser Diskussion drücken sich die Nationalisten."
Puelles ist Beamter der Polizeieinheit Ertzeintza. Sein Bruder Eduardo war Chef der Antiterroreinheiten der spanischen Polizei in Bilbao. Die ETA ermordete ihn im Juni 2009 durch eine Autobombe. Der Schmerz über den Tod seines Bruders sitzt noch heute tief, Puelles ist gegen jeden Dialog - nicht nur mit der Terrorgruppe. Er hegt großes Misstrauen gegen die demokratischen nationalistischen Parteien, die das Baskenland regieren, sogar gegen einen großen Teil der baskischen Gesellschaft:
"Hier sind Leute umgebracht worden, und ihre Nachbarn hatten Angst, gegen diesen Terror zu demonstrieren. Man durfte hier nie sagen, was man denkt. Die ETA wollte uns alle gleich machen. Was haben die Basken seit 1978 denn dagegen unternommen? Praktisch nichts. Es gab vereinzelt Demonstrationen. Aber das hat zu keinem Umdenken bei den Nationalisten geführt. Vielmehr haben sie mit der ETA paktiert, weil sie Angst hatten, ihre politische Vorherrschaft im Baskenland zu verlieren."
Die Vorwürfe sind nicht aus der Luft gegriffen: Die christdemokratische Baskische Nationalistische Partei hatte 1998 eine radikale Kehrtwende in ihrer Politik gegenüber der ETA und ihrem politischen Ableger vollzogen. Statt das Umfeld der ETA weiter zu bekämpfen, machten sich die gemäßigten Nationalisten zum politischen Partner der Radikalen. Im Gegenzug rief die ETA eine Waffenruhe aus, die damals jedoch nur ein Jahr dauerte. Dies alles ist weit mehr als zehn Jahre her. Doch Puelles zeigt sich unversöhnlich:
"Die Vergangenheit darf der Zukunft nicht im Weg stehen. Aber man gestaltet die Zukunft anders, wenn man die Vergangenheit kennt."
Wunsch nach Auseinandersetzung mit Todesschwadronen
Der Vergangenheit entgeht man im Baskenland nicht so leicht. Es gibt dort kaum einen Ort, der nicht wegen eines Mordanschlags in Erinnerung wäre. Rentería unweit von San Sebastián zum Beispiel. Seit Francos Tod vor 40 Jahren hat die ETA hier 18 Menschen getötet. Doch das scheint für die Bewohner weit weg, nur knappe vier Jahre nach dem Ende des Terrors. Es regnet in Strömen. Vier Raucher stehen in der Altstadt von Rentería vor einer Kneipe:
"Jeder will hier gut leben, in Ruhe. Diese Konfrontation war völlig sinnlos. Wir wollen ein normales Leben haben. Dieser Wandel ist sehr schnell gekommen. Sicher gibt es noch ein paar Leute, die es gerne wieder wie früher hätten. Aber die übergroße Mehrheit will die alte Konfrontation nicht mehr. Wir wollen so leben, wie wir es jetzt können. Letztlich ist Rentería doch nicht mehr als ein Dorf."
"Wir haben außerdem einen Bürgermeister, der Bildu, den Linksnationalisten, angehört. Er schafft es, dass sich alle Parteien zusammensetzen, auch die Bürger, aus allen Richtungen. Er versucht, die Bürger wieder zu einen, trotz allem, was passiert ist."
"Es wird nicht mehr gefragt, auf welcher Seite man steht. Wir sind eine Stadt, und jeder denkt, was er eben denkt. Es ist einfach anders geworden."
Wie ein Symbol für den Wandel: die spanische Fahne auf dem Rathausbalkon. In den Achtzigerjahren hatte sie an dieser Stelle noch zu schweren Unruhen geführt. Doch jetzt bleiben die Proteste aus. Die Fahne hänge nach einer jüngsten Anordnung des Verwaltungsgerichts, sagt Bürgermeister Julen Mendóza lakonisch. Er kommt von den Linksnationalisten. Aber er gilt mit seinen erst 36 Jahren nicht als vorbelastet. Für ihn gibt es wichtigere Angelegenheiten als den Fahnenstreit. Zum Beispiel den Dialog mit der Opposition:
"Wir sprechen über alles. Jeder bringt auf den Tisch, was er will, was er fühlt. Wir von den Linksnationalisten würden uns eine ernsthaftere Auseinandersetzung mit den gegen die ETA gerichteten Todesschwadronen wünschen oder mit der Folter. Aber wir sprechen natürlich auch über die Aktionen der ETA oder das Verhalten von uns Linksnationalisten in jenen Jahren. Der Vorteil dieser privaten Treffen ist, dass jeder sagen kann, was er will und der Inhalt der Gespräche nicht am nächsten Tag in der Zeitung steht. Wir suchen die Gemeinsamkeiten. Aber die Unterschiede sind noch groß."
Weit mehr als 800 Menschen hat die ETA seit Francos Tod ermordet. 18 davon in Rentería: Polizisten, Taxifahrer, Politiker, aber auch ein Briefträger kam ums Leben. Er sollte einem linksnationalistischen Politiker eine Briefbombe zustellen. Der Anschlag wird den damals aus dem Innenministerium gelenkten "Antiterroristischen Befreiungsgruppen", kurz GAL, zugeschrieben.
"Der Staat trägt die Verantwortung"
Keine halbe Stunde von Rentería entfernt lebt Axun Lasa in einem einsamen Haus auf einem Hügel. Die Hündin Aika ist ihre treue Begleiterin. Lasa wurde von der Polizei misshandelt, erzählt sie, und ihr Bruder, José Antonio Lasa, wurde zu einem der bekanntesten Opfer der Todesschwadronen.
"Mein Bruder war damals 20 Jahre alt. Die Ungerechtigkeiten, die Probleme der baskischen Sprache haben ihm Sorgen gemacht. Er war vor allem ein fröhlicher Junge, der viel gelacht hat. 1981 ging er zu ETA. Er und José Ignacio Zabala haben für die ETA eine Sparkasse überfallen. Das ging schief, sie mussten sich danach nach Frankreich absetzen. Zwei Jahre später wurde uns von den Behörden mitgeteilt, dass sie verschwunden seien. Wir hörten Gerüchte über brutale Folterungen. Zwölf Jahre lang dauerte die Ungewissheit. Erst 1995 wurden wir informiert, dass in Alicante zwei Leichen aufgetaucht sind, 850 Kilometer entfernt von der Grenze zu Frankreich."
Die Leichen der beiden ETA-Mitglieder José Antonio Lasa und José Ignacio Zabala lagen unter 50 Kilo Kalk. Durch DNA-Tests konnten sie eindeutig identifiziert werden. Der Gerichtsmediziner fand Folterspuren. Der spanische Nationale Gerichtshof verurteilte später drei hauptverantwortliche Polizisten, darunter einen General der Guardia Civil, zu langen Haftstrafen. Es ist einer der wenigen Anschläge, die den Todesschwadronen GAL zugeschrieben werden, die später aufgeklärt werden konnten.
"Wir müssen damit leben. Der Staat trägt die Verantwortung. Das war mein Bruder. Eine kurze Geschichte von einem fröhlichen Jungen, der mit 18 Jahren nach Frankreich ging und mit 20 Jahren entführt wurde, dem all dies angetan wurde."
Ein würdiges Begräbnis, so sieht es Axun Lasa, wurde der Familie vorenthalten. Die Angehörigen durften die sterblichen Überreste nicht sehen, die Polizei setzte Knüppel gegen die Trauergemeinde ein. Jahrelang konnte die Mutter nicht auf den Friedhof gehen, zu schmerzhaft waren die Erinnerungen. Trost spendeten ihr nur die Linksnationalisten, das Umfeld der ETA.
"Ich wusste, auf welcher Seite ich stand. Ich war Teil der Linksnationalisten. Aber ich hatte auch gar keine Alternative. Das waren die einzigen, die etwas von mir wissen wollten. Ich stand also auf einer der beiden Seiten, aber ich hatte Zweifel."
Vor sieben Jahren machte ihr die baskische Regionalregierung ein Angebot: ein Treffen, geheim, weit entfernt, in Irland. Opfer der Todesschwadronen sollten sich mit Opfern der ETA treffen. So etwas war damals noch undenkbar. Sie sagte zu:
"Wir durften niemandem von diesem Projekt erzählen, nicht einmal im Dorf. Auf dem Flughafen hatten wir alle Angst. Vor allem davor, was unser Umfeld dazu sagen würde. Aber trotz allem wusste ich, dass ich dort hin wollte. In Irland haben wir dann gemerkt, dass wir alle die gleiche Angst hatten vor der Reaktion von Angehörigen und Freunden. Ich fürchtete mich vor meinen Leuten, dass die nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Die Fronten waren ja noch sehr verhärtet. Und die Opfer der ETA hatten die gleiche Angst. Wir haben uns gesagt: 'Wenn die mitbekommen, dass ich hier mit Dir am Tisch sitze...!'"
Den Anderen vom Schmerz berichten
"Vor allem habe ich gelernt, zu sehen, dass es auch die andere Seite gibt. Ich war nie Aktivist irgendeiner Seite. Ich lebte in meinen Bergen, mit meinen Ski. Ich habe mich nie mit der baskischen Unabhängigkeitsbewegung auseinandergesetzt," erzählt Fernando Garrido in seiner Wohnung im verschneiten Jaca, am Fuß der Pyrenäen. Als Garrido 18 Jahre alt war, löschte die ETA fast seine ganze Familie aus. 1986 bei einem Bombenanschlag in San Sebastián starben sein Vater, ein General, seine Mutter, einer seiner Brüder und der Fahrer der Familie. Bei dem Treffen in Irland lernt er Axun Lasa kennen:
"Natürlich wusste ich, dass es den Fall gab. Aber ich wusste nicht, wie es den Schwestern der beiden Ermordeten ging. Wie sie gelitten haben. Das interessierte mich gar nicht. In Irland habe ich das hautnah erfahren."
Brechreiz habe er früher empfunden, wenn er von den Forderungen nach baskischer Unabhängigkeit hörte, sagt der kräftige Bergführer und nimmt einen Schluck vom heißen Kaffee. Inzwischen könne er andere ideologische Vorstellungen im Baskenland leichter akzeptieren. Die Erfahrung in Irland habe seinen Blick auf die Dinge völlig verändert, sagt er.
"Klar, da fährt man hin und fragt sich: Auf welche Leute treffe ich dort? Von seinen Gefühlen anderen berichten zu müssen, ist nicht leicht. Vor Leuten, die politisch auf der anderen Seite stehen. Jeder stellte sich in der Gruppe zunächst mit seiner Geschichte vor. Da ist man schon dazu gezwungen, sich zu öffnen. Denn man hört ja auch den anderen Leuten zu, die von ihrem Schmerz berichten. Das tat mir alles wahnsinnig gut. Ich meine das ganz egoistisch, es war für mich gut."
Der Sohn des ermordeten Generals und die Schwester des gefolterten und ermordeten ETA-Mitglieds sind Freunde geworden. Axun trifft sich weiterhin mit Fernando, und mit Mari Carmen, der Witwe eines ermordeten Polizeibeamten. Und sie verheimlicht es nicht mehr:
"Ich habe nach ein paar Tagen begonnen, davon zu erzählen. Einer Freundin nach der anderen. Die Reaktionen haben mich sehr überrascht. Die Leute haben auf solche Foren gewartet, sich aber nicht getraut, es zu sagen. Im Privaten haben sie mir gesagt: 'Das wurde auch Zeit. Ich freue mich.' Andere meinten: 'Also ich könnte das zwar nicht, ich ertrage diese Leute nicht. Aber ich gratuliere Dir...'"
Die vielleicht größte Hürde für eine Auflösung der ETA sind die rund 470 Inhaftierten, die sich bis heute als Mitglieder der Organisation verstehen. Sie sind bislang auf Haftanstalten in ganz Spanien verteilt. Angehörige müssten für einen Besuch oft hunderte Kilometer fahren, sagt Axun Lasa. Auch Fernando Garrido plädiert für einen flexibleren Strafvollzug. Josu Puelles von Covite aber stemmt sich gegen jede Hafterleichterung, auch für unheilbar Kranke. Obwohl Spaniens Regierung sich in diesem Punkt unbeweglich zeigt, zieht sie den Zorn der Opferverbände auf sich:
"Genau das ist das Problem der Regierung. Sie macht nichts. Sie hatte die Wahl, ob sie den an Krebs erkrankten verurteilten Terroristen Bolinaga freilässt oder nicht. Sie hat ihn laufen lassen. Nach zwei Jahren ist er jetzt gestorben. Er hätte ja auch in Würde im Gefängnis sterben können. Die Regierung zog vor, ihn freizulassen."
"Wir brauchen noch Zeit"
Den Angehörigenverbänden gehe es nicht um Rache, sondern um Gerechtigkeit, betont Puelles. Ihr politischer Einfluss ist groß. Das zeigt sich auch daran, dass die spanische Regierung Treffen von reuigen, inhaftierten Terroristen mit Terroropfern nicht mehr zulässt.
Doch mit den Begegnungen von Menschen, die sich einst verfeindet gegenüber standen, beginne der Weg in eine friedliche Zukunft, meint der konservative Kommunalpolitiker aus Tolosa, Peio Achucarro:
"Man sieht den Standpunkt des anderen und versucht, ihn zu verstehen. Für ihn ist sein Standpunkt genauso legitim wie für dich deine Meinung. Wenn man dem anderen zuhört, sagt man auch mal: Da habe ich mich geirrt. Wir reden zum Beispiel viel von den ETA-Häftlingen in den Gefängnissen. Ich verstehe schon, dass es nicht gerecht ist, dass die Angehörigen bis nach Cádiz reisen müssen, um einen Häftling zu besuchen."
Und die beiden Freunde Axun Lasa und Fernando Garrido meinen:
"Wir haben doch erst angefangen. Meine Söhne sind 26 und 30 Jahre alt. Sie sprechen mit ihren Freunden darüber, dass sich ihre Mutter mit Angehörigen von Opfern der ETA trifft. Sicher werden wir bald eine große Mehrheit sein, die ohne Probleme in der Öffentlichkeit darüber berichtet. Das finden manche gut, andere nicht. Wir brauchen noch Zeit."
"Es gibt keine Zauberformel für das Baskenland. Niemand kann von einem Moment auf den anderen die Widersprüche der Gesellschaft auflösen. Es sind die kleinen Schritte, die in manchen Köpfen etwas verändern. Wir hatten diese Treffen, jetzt wird darüber berichtet, es geht in die richtige Richtung. Das ist schon mal etwas anderes, als sich gegenseitig weiter wehzutun."